Pop-up Stores fürs Erzgebirge

19.09.2023

Na, wir wolln ma gucken, was es diesmal gibt!

Im Herbst 2021 öffnete sich in Wolkenstein zum Tag des offenen Denkmals die lang verschlossene Tür zum Historischen Fleischerladen – eine von vielen. Zu diesem Zeitpunkt stellen Fotografin Josephine Leonhardt-Dietrich und Webdesignerin Nadja Hecker ihr Pop-up-Store-Konzept 2.0 fürs Erzgebirge vor: Die Kurzzeitläden. Zusammen wollen sie den Leerstand in den erzgebirgischen Städten bekämpfen, indem sie ungenutzte Ladenflächen kurzfristig und risikofrei für Gewerbetreibende und Kunstschaffende zugänglich machen wollen. Eine Win-Win-Situation für Kommunen, Immobilieneigentümer sowie Händlerinnen und Händler.


NADJA HECKER (links):Inhaberin der Agentur effektvoll, Webdesignerin & Betreiberin des Coworking Spaces Unisono

JOSEPHINE LEONHARDT-DIETRICH (rechts): Freiberufliche Unternehmens- und Event-Fotografin

Da habt ihr euch aber gleich ein umfangreiches Projekt gesucht. Habt ihr schon zuvor zusammengearbeitet?

JOSEPHINE: Nadja und ich haben uns über das Kreative Erzgebirge [der Branchenverband der Kultur- und Kreativwirtschaft im Erzgebirge] kennengelernt. Ich bin seit vier Jahren dabei, Nadja seit sieben Jahren.

NADJA: Webseiten und Fotografie funktionieren ja oft Hand in Hand – so haben wir auch schon in anderen Projekten zusammengearbeitet. Die Kurzzeitläden sind aber unser erstes ureigenes Projekt.

JOSEPHINE: Und viel mehr als das! Für die Kurzzeitläden haben wir zusammen eine Firma gegründet, weil wir langfristig etwas erreichen und verändern wollen.

Damit führt ihr beide nun gleich zwei Unternehmen – euer eigenes und die Kurzzeitläden, richtig?

NADJA: Unser primäres Ansinnen war nicht, eine Firma zu gründen, sondern etwas zu tun, was auch für unsere Mitmenschen einen Nutzen hat, da wir sonst in unserem Beruf beide nur an Projekten arbeiten, die einen kommerziellen Charakter haben. Bisher haben wir für die Kurzzeitläden ehrenamtlich gearbeitet. Den Zeitaufwand bekommen wir zumindest bis jetzt von niemandem vergütet. Trotzdem suchen wir natürlich nach Finanzierungsmöglichkeiten, damit wir nicht unser eigenes Kapital einbringen müssen.

Wäre es da nicht einfacher gewesen, für ein schon vorhandenes gemeinnütziges Projekt zu arbeiten? Was hat euch angetrieben?

JOSEPHINE: Der Bürgermeister von Wolkenstein hatte vor einer Weile zu einem Stammtisch eingeladen, um gemeinsam zu überlegen, wie man den Ort attraktiver machen kann für junge Leute und Familien, die ihn vielleicht sogar selbst beleben wollen. Das ist uns in Erinnerung geblieben. In Oelsnitz haben zur gleichen Zeit mehrere Läden zugemacht. Wir dachten uns: Da muss es doch was geben, was wir machen können. Denn wer fährt schon gern durch einen Ortskern, in dem fünf Läden hintereinander leerstehen!?

Da muss es doch was geben, was wir machen können.

Also habt ihr die leeren Häuser mit Pop-up Stores belebt?

NADJA: Pop-up Stores funktionieren in der Stadt schon etwas anders. Verkauft werden dort meist angesagte Markenartikel von bereits bekannten Marken, die Läden haben nicht länger als drei Tage auf. In dieser Zeit kommen 5.000 Leute, wenigstens 300 von ihnen kaufen. So funktioniert das im ländlichen Raum natürlich nicht.

JOSEPHINE: Uns geht es darum, dass die Kurzzeitläden den Leerstand beseitigen sollen und regionale Händler*innen, Produzent*innen und Künstler*innen die Möglichkeit haben, auszuprobieren, ob und wie ein Ladengeschäft für sie funktioniert. Zusätzlich zum Online-Geschäft ist man vor Ort, zeigt seine Produkte, kommt ins Gespräch, kann Werbung für sich machen.

NADJA: Deshalb öffnen die Kurzzeitläden bei uns nicht nur für ein paar Tage, sondern dürfen gern bis zu einem halben Jahr geöffnet bleiben. Die Miete wird wirklich nur exakt für die Tage berechnet, die die Händler*innen und Künstler*innen im Laden sind. Es gibt keine Provision, die Nebenkosten sind im Mietpreis bereits enthalten. Keine versteckten Kosten, keine Verbindlichkeiten.

Die Rede ist von einem kurzfristigen Ladenverkauf, wann immer man gerade mag?

NADJA: Ja! Wir sind ja ständig auf Töpfer- oder Kulinarikmärkten und kommen dort mit Händlerinnen und Händlern ins Gespräch. Auch gerade für sie ist es eine spannende Option, über die Wintermonate – wenn eben gerade keine Märkte stattfinden – einen Kurzzeitladen zu eröffnen. Und da man auch kein Risiko eingeht, ist es interessant, wenn man mit seinem Geschäft gerade erst beginnt.

Aber vermutlich haben junge Händler*innen und Künstler* innen keine professionelle Ladeneinrichtung. Wie löst ihr diese Herausforderung?

JOSEPHINE: Wir haben einen komplett eingerichteten Laden – unser Pilotladen in Neukirchen. Das Möbel wurde extra dafür von der örtlichen Tischlerei Beyer designt. Die Idee war, ein modulares System zu entwickeln, das sich für verschiedene Produkte in verschiedenen Größen eignet und nach Belieben angepasst werden kann. Ziel ist schon, dass wir diese Einrichtung in allen Läden als Wiedererkennungswert haben. Hochwertig und praktisch. Dafür müssen wir aber noch andere Finanzierungsmöglichkeiten finden, schließlich wollen wir die Kosten für die Möbel nicht auf die Händler*innen übertragen. Die erste Einrichtung konnten wir aus dem Preisgeld des simul+ Mitmachfonds finanzieren. 2021 hatten wir uns mit unserer Idee beworben und wurden Anfang 2022 mit 25.000 € Preisgeld ausgezeichnet.


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Und inwiefern profitiert der Vermieter bei so viel Unverbindlichkeit?

NADJA: Natürlich muss der Vermieter seinen leerstehenden Laden erst einmal in Ordnung bringen – sodass es ordentlich ist, niemand verletzt werden kann und man Ware anbieten kann. Dann aber wirkt der Kurzzeitladen wie eine Marketing-Aktion für die Immobilie: Man sieht, dass darin tatsächlich verkauft werden kann. Sicher bekommt der Vermieter nur Geld für den Zeitraum, in dem der Laden vermietet wird, sonst aber würden gar keine Mieteinnahmen entstehen. Und vielleicht ist es ja auch ein schöneres Bild, den eigenen Laden belebt zu sehen, statt nur Folien vor den Fenstern.

JOSEPHINE: Vielleicht zieht so eine Aktion ja auch Langzeitmieter an oder ein*e Händler*in, der/die Erfolg hatte, will in dem Laden bleiben.

Oh schön, dass hier endlich mal wieder was ist.

Trotzdem liegt das größte Interesse an dem Erfolg der Kurzzeitläden ja sicherlich bei den Gemeinden – zumindest sollte es das. Fühlt ihr euch unterstützt?

JOSEPHINE: Die Städte und Kommunen unterstützen uns sehr – vor allem hier in Neukirchen. Besser hätten wir es uns nicht vorstellen können! Auch die LEADER -Region hilft mit seinem Netzwerk und hat beispielsweise den Kontakt zum Vermieter unseres Kurzzeitladens hergestellt.

NADJA: Wir gehen mit interessierten Kommunen einen Jahresvertrag ein. Dieser beinhaltet eine einjährige finanzielle Unterstützung für das Konzept der Kurzzeitläden. Davon finanzieren wir wiederum Reinigungen, Marketing und Möbel – im Optimalfall auch irgendwann unsere Arbeitszeit.

Habt ihr Rückmeldung von den Einwohner*innen bekommen?

JOSEPHINE: Das Feedback von den Einwohner*innen war immer sehr positiv. Im Mai hatten wir hier in Neukirchen unsere beiden Eröffnungswochen, später war der Laden noch einmal für zwei Wochen geöffnet. Die Älteren haben im Gemeindeblatt davon erfahren, die Jüngeren über Social Media. Und es hat jeder gesagt: „Oh schön, dass hier endlich mal wieder was ist.” Natürlich hat jeder gefragt, wo die Sachen herkommen, aber grundlegend war die größte Freude darüber, dass es schön aussieht und endlich mal was passiert.

NADJA: Manche sind auch speziell wegen der jeweiligen Händler*innen gekommen, manche, weil der Laden an sich interessant war. Einige haben auch sofort das Prinzip verstanden und haben beim zweiten Mal sofort gesagt: „Na, wir wolln ma gucken, was es diesmal gibt.“ Und genau das ist unser Ziel: Dass die Leute das Logo vom Kurzzeitladen sehen und wissen, dass es diesmal wieder etwas Neues gibt.

Text & Fotos: Magda Lehnert